Freitag, 6. Juli 2012

Was du heute kannst...

Man schiebt ja gern so einiges vor sich her. Unangenehme Aufgaben vor allem. Da geht es mir nicht anders. Ganz oben auf meiner "Mach ich später"-Liste standen auch jahrelang Arztbesuche in jeglicher Form. Vor dem Zahnarzt hatte ich Panik, mein Hausarzt bekam mich nur zu Gesicht, wenn ich mal eine Überweisung, Krankschreibung oder ein Rezept brauchte - und Fachärzte aufzusuchen hielt ich weitestgehend für unnötig ("Ich hab ja nichts"). 
Trotzdem - irgendwie war dann doch manchmal das ungute Gefühl, vielleicht DOCH irgendetwas zu haben... Man liest und hört ja so vieles... Könnte diese leichte Übelkeit nach dem Essen womöglich von einem Magengeschwür kommen? Ist der Migräneanfall am Ende doch ein Gehirntumor? Und Zahnschmerzen hatte ich in den letzten Monaten ja schon manchmal. Oder, fast noch schlimmer: Bin ich jetzt schon so durchgeknallt, dass ich mal zum Psychologen muss?!

Nun habe ich innerhalb von zwei Wochen im Zuge meiner LTX Evaluierung einmal das komplette Programm hinter mir. Um sicherzustellen, dass mein Körper für eine Transplantation geeignet ist, wurde ich gewissermaßen einmal von Kopf bis Fuß untersucht - ob ich das nun wollte oder nicht, Augen zu und durch....
Um den Überblick zu behalten, welche Untersuchungen ich schon hinter mir habe und welche mich noch erwarten würden, bekam ich eine Liste. Während ich diese schrittweise abarbeitete, merkte ich, dass ich mich vor einigen Dingen völlig zu Unrecht gefürchtet hatte. Vor anderen zu Recht.

Der Urologe

Mein erster Gedanke: Was soll ich denn da, als Frau? Da gehen doch schon Männer ungern hin... Horrorszenarien schossen mir durch den Kopf - wer weiß, was der da alles untersuchen wollen könnte.
Also fragte ich den Doktor erstmal, was er denn bei mir feststellen solle. Er war zum Glück sehr nett und erklärte mir, dass er nur mal mit dem Ultraschall meine Nieren und Blase anschauen wird. Das war schnell erledigt, nichts auffälliges festzustellen - und ich hatte mal wieder etwas gelernt.

Röntgen

Einmal komplett durchstrahlen, bitte... Der Transporter-Typ stellte mich in der Röntgenabteilung ab, ich würde dann aufgerufen. Das dauerte allerdings ein bisschen, so dass ich aus lauter Langeweile auf eigene Faust die Funktionen meines Rollstuhls im leeren Wartezimmer testete. Als ich gerade im schönsten Geschwindigkeits-Rausch herumdüste, öffnete sich die Tür und die Schwester, eine lebendig gewordene Barbiepuppe mit starkem polnischen Akzent, rief mich herein.
"Hierhin stellen, so rum drehen, Arme rauf, Arme runter, andersrum hinstellen, einatmen, ausatmen, zack zack zack...". Am Schluss noch auf 3 Formularen unterschreiben, dass ich auch ja nicht schwanger sein könnte - fertig.
Von der Wirbelsäule bis zum Schädel, alles in Ordnung. Nachts im Bett bildete ich mir ein, nun schwach zu leuchten.

Magenspiegelung

 Oh Gott. Nach einigen Horror-Geschichten meiner Zimmernachbarin ("natürlich ohne Betäubung den Schlauch runterschlucken, Sie merken das dann alles...") zitterte ich vor mich hin, als die Ärzte hereinkamen. Der eine, so ein Blonder,  fragte nur "Sie haben wohl Angst? Sie merken doch gar nichts davon, Sie schlafen gleich". Dann unterhielt er sich weiter mit seinem Kollegen. Es gebe da jetzt so eine neue Brotsorte, völlig ohne Kohlenhydrate.
Als sie mir das Propofol injizierten, versuchte ich, ganz besonders nervös auszusehen. Vielleicht bekäme ich dann ja eine außergewöhnlich große Dosis, damit ich auch ja nicht mittendrin aufwache. Weshalb ich mir einbildete, das besser beurteilen zu können als ein Anästhesist, weiß ich auch nicht.
Als ich wieder zu mir kam, war tatsächlich alles schon vorbei. Bis auf ein leichtes Brennen im Hals und der Magengegend für ein paar Stunden spürte ich nichts weiter.
Ergebnis der Untersuchung: habe Krampfadern in Speiseröhre und Magen.

Darmspiegelung

OH GOTT!
Soll man ohnehin alle 10 Jahre mal machen lassen, vorsichtshalber. Hätte ich freiwillig aber nicht getan, wie vermutlich viele andere Menschen auch. Wer will sich das schon vorstellen? Ekelhaft! Um es vorwegzunehmen: Die Untersuchung selbst bekommt man überhaupt nicht mit und weh tut da auch nichts. Das schlimmste ist die Nacht vorher. Schon am Nachmittag sollte ich damit anfangen, 4Liter "Abführmittel" zu trinken, über den ganzen Abend verteilt. Der erste Liter ging auch noch ganz gut runter, das Zeug sah aus wie Wasser und roch nach Apfel-Zimt. Aber der Geschmack wurde von Glas zu Glas unerträglicher... und die Konsistenz: wie eine Art "dickflüssiges Wasser", so entsetzlich - es lässt sich kaum beschreiben. Kaum heruntergeschluckt hatte man auch direkt das Bedürfnis, das Zeug wieder auszukotzen.
Gegen Mitternacht hatte ich endlich die ganze Ladung geschafft und legte mich schlafen... um pünktlich 4Uhr wieder geweckt zu werden, ich solle nun nochmal 2 Liter trinken. Und wenn ich dann auf die Toilette müsse, solle ich doch bitte eine Schwester oder den Arzt holen, damit der dann kontrollieren kann, dass auch alles "clear" ist. Ich fühlte mich erniedrigt. Der letzte Liter Abführmittel kam dann auch direkt oben wieder raus.
Vielleicht machen sie das ja absichtlich: der Patient wird vor der Untersuchung so entkräftet, dass er willenlos alles über sich ergehen lässt. Ich lag dann auch ganz geduldig da, als der Anästhesist meine Arme nach einer brauchbaren Vene für die Narkose absuchte (gar nicht so leicht, da ich mit blauen Flecken und Schwellungen übersäht war). Dann schlief ich auch schon ein.
Nachdem ich alles überstanden hatte, beschloss ich dennoch, mir das frühestens in 10 Jahren wieder anzutun. Oder in 20. Wenn überhaupt. Sie haben ja nichts schlimmes gefunden.

Knochendichte-Messung

Ohje, was kommt denn da auf mich zu? Wird da womöglich in den Knochen gestochen oder etwas ähnlich Beängstigendes angestellt?
Nein. Es wurde lediglich ein kleiner Bereich meiner Hüftknochen mit sehr schwacher Röntgenstrahlung angeschaut. So schwach, dass die Schwestern und Ärzte während der Untersuchung nicht mal den Raum verlassen müssen.
Resultat: meine Knochen sind genau so, wie sie es in meinem Alter sein müssen.

Der HNO-Arzt

Das Gebäude, indem sich die HNO-Abteilung befindet, liegt genau gegenüber  "meiner" Station. Dennoch war ich überrascht, mich plötzlich in einer völlig anderen Welt wiederzufinden.Obwohl es lediglich darum ging, meine Nasen-Nebenhöhlen anzuschauen, wurde ich dermaßen fürsorglich von der netten Schwester und dem ebenfalls sehr netten Arzt umsorgt - da wäre ich glatt noch ein paar Stunden länger geblieben. Bestimmt hätten sie mir auch noch einen Cocktail mit Schirmchen gebracht, wenn ich darum gebeten hätte. Aber so dreist bin ich nicht. Und darf ja keinen Alkohol.

Der Zahnarzt

Ohje, der schimpft bestimmt... Mein letzter Zahnarztbesuch lag viel zu lang zurück, zwischenzeitlich hatte ich dann und wann mal Zahnschmerzen gehabt und diese ignoriert so gut es ging. Wer weiß, was der mir nun vorwerfen würde. Vielleicht müsste er sogar Zähne ziehen oder direkt mit dem Bohrer loslegen? Auf jeden Fall machte ich mich auf einen belehrenden Vortrag gefasst, als ich im Wartezimmer saß.
Der kam dann zwar auch - aber anders als erwartet. Schlimme Löcher seien da keine, sagte mir der Doc. Dennoch hält er meine Weisheitszähne für "nicht erhaltungswürdig" und empfahl mir, sie vor meiner Transplantation ziehen zu lassen. Drei Stück. Na klasse...
Später, mit einem neuen Organ und unterdrücktem Immunsystem sei ein solcher Eingriff viel zu riskant, also müsse man das rechtzeitig erledigen, damit die Zähne nicht noch zu einem Problem werden.
Dann gab er mir noch mit auf den Weg, wie wichtig es ist, seine Zähne gut zu pflegen und sich auch zum Zahnarzt zu trauen - gerade der Mundraum bietet an vielen Stellen Angriffspunkte für Infektionen. Ich müsse mir darüber im Klaren sein, dass ich mir viele Sorgen ersparen könne, wenn ich meine (bisher noch sehr guten) Zähne pflege und auf sie aufpasse.

Die Psychologin

Ein wenig wunderte es mich schon, dass ich zu einem so genannten Psychosomatik-Konsil sollte. Doch die Ärztin erklärte mir im Verlauf unseres Gespräches, weshalb: Natürlich müsse man bei Transplantationspatienten im Vorfeld klären, ob diese sich der Verantwortung bewusst seien, die ein neues Organ mit sich bringt. Man muss regelmäßig alle wichtigen Medikamente einnehmen und einige Einschränkungen im Alltag in Kauf nehmen, denen vielleicht nicht jeder Mensch gewachsen ist. Dies sei jedoch vor allem bei Alkoholikern oder Drogenabhängigen der Fall, die sich innerhalb kurzer Zeit auch eine neue Leber kaputt-trinken würden. Ich solle mir da keine Sorgen machen.
Gut.

Der Anästhesist

Ein sehr entspannter Mensch. Er versicherte mir, dass ich im Falle einer Operation absolut nichts mitbekommen würde. Als ich andeutete, dass mir vor allem die vielen Kanülen, Zugänge und womöglich künstliche Beatmung Angst machen, erklärte er mir, dass man bei einer solchen OP absolut alles unternehme, um dem Patienten Stress zu ersparen.
Soll heißen: Ich kann mir angstlösende Medikamente und starke Schmerzmittel geben lassen (zum Teil sogar selbst dosieren in den ersten Tagen nach dem Eingriff). Ordentlich zudröhnen und gut. Damit kann ich leben!

3D-CT mit Gefäßdarstellung, Lungenfunktionstest, Echo, EKG

Diese und noch ein paar andere Tests wurden nebenbei auch noch durchgeführt. Das sind so Dinge, von denen in (von mir sehr geliebten) Arzt-TV-Serien immer mal wieder die Rede ist. Und die für den Laien natürlich besonders beeindruckend klingen.
Alles überhaupt nicht beängstigend. Beim CT liegt man ein paar Minuten still und bekommt nach einer Weile ein Kontrastmittel, damit die Blutgefäße gut dargestellt werden können. In meinem Fall wurde das ganze sogar in 3D gemacht. Cool. Der Lungenfunktionstest war ebenfalls nicht mit Schmerzen verbunden: man pustet kräftig in ein Röhrchen hinein, ein paar mal gegen eine Art Luftwiderstand.
Ein "Echo" ist, wie ich nun weiß, eine Ultraschalluntersuchung des Herzens. Und für ein EKG werden lediglich am Körper einige Elektroden auf den Körper geklebt.
Nachdem ich all diese Untersuchungen auf meinem Zettelchen angekreuzt hatte, wusste ich: ich habe ein super Herz, super Lungen, super Gefäße. 


Aus diesem Untersuchungs-Marathon nehme ich doch so einige Erkenntnisse mit. Manchmal ist es dann doch die bessere Entscheidung, einfach mal zum Arzt zu gehen, wenn man ein ungutes Gefühl hat. Viele schlimme Dinge werden einem dort ja nicht angetan - und man muss nicht monatelang mit der Ungewissheit herumlaufen, dass vielleicht irgendetwas nicht in Ordnung sein könnte
Und was sind schon ein paar Nadelstiche für einige Sekunden im Tausch gegen die beruhigende Gewissheit, dass alles völlig in Ordnung ist...?



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