Sonntag, 17. Juni 2012

Die Studenten.

Da ich in einem Lehrkrankenhaus behandelt wurde, hatte jeder meiner Ärzte auch eine Schar Studenten, die bei ihm lernten. Diese wollten natürlich auch mal auf "echte Patienten" losgelassen werden und sollten dazu die Gelegenheit bekommen. Dankbarer Test-Patient in diesem Fall: ich. Im Laufe der Zeit lernte ich viele kennen...

Anfangs war ich noch überrascht, als plötzlich der Arzt, der mir am Vortag eine Magenspiegelung verpasst hatte, in der Tür stand. Übrigens sah der aus wie ein bekannter britischer Fernseh-Koch, wie passend. Jedenfalls fragte er nun, ob es für mich in Ordnung wäre, wenn einige seiner Studenten mal bei mir eine Visite üben, sprich: nach meinen Symptomen fragen, Herz und Lunge abhören, Bauch abtasten etc. Klang nicht schlimm und ich fühlte mich an diesem Tag fit, also stimmte ich zu.
Wer gern TV-Arzt-Serien verfolgt, wird die Prozedur kennen: "Das hier ist Frau H., wurde vor einer Woche eingeliefert mit Symptom X und Symptom Y, wie würden Sie weiter vorgehen...?" und dann raten die Studenten, zählen mögliche Ursachen auf, die sie irgendwo im Lehrbuch gelesen haben. Das fand ich auch selbst ganz aufschlussreich, weil sie dabei auch erklären mussten, warum sie genau welche Stelle am Bauch abtasten, was sie da zu fühlen oder hören hoffen. Den Rand der Leber zu finden scheint übrigens nicht ganz leicht zu sein, dazu muss man wohl am Rippenbogen recht stark Druck ausüben. Aber man kann offenbar von außen tatsächlich ertasten, wie sich die Oberfläche des Organs anfühlt - eine gesunde Leber ist ganz glatt, eine kranke eher "löchrig" wie ein Schwamm.

Im Lauf der nächsten Wochen hatte ich sehr häufig solche Besuche, irgendwann kam ich mir schon vor wie ein Tier im Zoo. Je nachdem, wie weit die Studenten in ihrem Studium waren, fiel die Visite kürzer oder länger aus, manche stellten nur Fragen und sollten dann eine Diagnose abgeben, andere sollten eine komplette Untersuchung üben und zwei Studentinnen hatten sogar ihre Staatsexamens-Prüfung. Sehr aufregend, da war dann der Chefarzt und noch einige andere wichtig aussehende ernste Herren anwesend, während die nervösen Nachwuchs-Ärzte mich über die Farbe meines Urins befragten und mir ihre kalten Hände unter den Rippenbogen schoben.

Nach und nach kam ich mir ohnehin vor wie in einer Fernsehserie: abgesehen von meinen eigenen, unwirklich scheinenden Erlebnissen, sahen viele der Ärzte und Studenten unheimlich "hollywoodreif" aus. Je wichtiger der Arzt, desto gestriegelter die Frisur. Aber auch mein "Labor-Kumpel", wie ich ihn irgendwann nannte (frisch von der Uni, er durfte auf der Station die leichten Aufgaben wie Blutentnahme, EKG usw machen und kam täglich pünktlich zum Frühstück bei mir vorbei): Vielleicht war er beim Casting für Grey's Anatomy durchgefallen und deshalb richtiger Arzt geworden. Der hatte "Elite" geradezu auf der Stirn stehen, mit seiner schicken Armani-Brille. Aber er war nett. Trotzdem komisch, von einem Gleichaltrigen gesiezt zu werden. Ich hab dann manchmal "Du" gesagt, dann lieber doch nicht mehr. Bin ja kein Arzt.

Und zum Glück gab es ja noch Dr. W, meinen Lieblingsarzt. Der war für die ganze gastroenterologische Station zuständig und kein Hepatologe (=Leberspezialist). Er sah von früh bis spät müde und abgekämpft aus, sein dünnes Haar stand ihm in allen Richtungen vom Kopf ab und alle Schwestern, Oberärzte und Patienten schienen ununterbrochen nach ihm zu suchen. Aber er war nett und fragte mich oft, wie es mir geht und merkte sich alles. Der guckte mich auch immer ganz mitleidig an und gab mir für jedes Wehwehchen die passenden Tabletten.
Und Studenten hatte er auch keine.

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